Ein kleines Festival ungarischer Kultur in Berlin - Von Peter Wawerzinek
Ungarische Kultur – wer denkt da nicht sofort an A. E. Bizottság, die Rockband mit dem auffälligen Touch zu den Stilmitteln Frank Zappas und dessem großangelegtem Aufruhr? Wer hat da nicht sofort den Song »Szerelem« im Ohr. Die Melodie, die so ruhig wie ein Liebeslied beginnt und mit einem Sägeschreien endet?
So waren die Achtziger. Nun sind sie auferstanden im besten Sinne, weil es sie noch gibt, die schönen, kleinen Nischen der Auferstehung. Sie sind noch zu erleben, die kleinen Überraschungen, wenn man sich nur traut. Junge Leute, gestandenes Anrechtspublikum, Darsteller und Zuschauer, Neugierige und Neue, eine gemischte Ansammlung von Charakteren kommt im Vorraum des kleinen Theaters in Berlin-Mitte zusammen. Laptops. Aschenbecher. Zettelkram. Zeitschriften. Flaschen. Gläser.
Eine Mutti mit Baby an der Brust. Einige Akteure mittenmang in Robe.
Von der Torstraße aus in die Ackerstraße eingebogen, ist man auf dem Hinterhof zur guten Stube hinein. Der Tresen drinnen ist nichts weiter als eine Barriere in Höhe Bauchnabel. Dahinter Stefan, er schmeißt den Laden, hält ferner die Technik fit. Muß ich mal gucken, sagt er, ob der Sonderwunsch Wasser Medium erfüllt werden kann. Stefan kramt. Stefan bückt sich. Stefan kann. Die Flasche wird von Ralph Richtung Saal und Bühne gebracht. Ralph ist der Chef vons Janze, wie man in Berlin sagt. Aber nicht mehr lange. Ab Jahresbeginn ist er für drei mal zwölf Monate nach Bielefeld verpflichtet. Einen toten Laden auffrischen. Kunst ins Rollen bringen und, wenn die Maschine surrt, die Schlüssel abgeben und weitersehen. Kommen, sehen, siegen, gehen.
Im Saal und auf der Bühne bereiten sich Die Linkshänder auf ihr Konzert vor. Sprich: László Moldavi hört seinen Hang ab. Ein Instrument wie ein Ufo für den Schoß. Im Grunde zwei
aufeinandergeklebte Steel Drums. Mehr nicht. In der Schweiz entwickelt. Klänge wie Harfe, Zimbal und Klavier. Hang heißt im Schweizerdeutsch Hand. Der Tenor zum Duo heißt Oliver Goessel. Gegeben wird ein Liederzyklus. Texte von Ritsos, Goethe, Dada Beda.
Die Flasche wird auf einen Stuhl gestellt. Der Stuhl gehört zur eben eröffneten Ausstellung des ungarischen Künstlers Zoltán Perovics. So mit kleinem Bühnenstück, von immerhin dreizehn Schauspielern aufgeführt. ¬Kispendrajv, heißt es im Programmtext, ist das ungarische Wort für USB-Stick, dem allbekannten Speichermedium, das Daten aufnimmt und überschreibt. Als USB-Stick versteht sieht sich der Künstler, bietet Dialogblöcke an, erzählt, was zu sagen ist, in filmischer Abfolge. Bilder und Szenen über die Erschaffung des Menschen aus sich selbst, heißt es im Untertext. Und was auf der Bühne kurz zu sehen war, kann zeitlos in jeder beliebigen Epoche der Weltgeschichte entstanden sein. Die Aufführung darf, wie zu erfahren ist, beim Zuschauer auch für
immer verschwinden. Denn einst wird der Mensch weg sein, werden wir alle vom Globus verschwinden.
Die Ausstellung ein Theaterspiel. Das Theater ein Panoptikum. Stück für Stück wird die Rumpelkammer entleert. Verspielt bis bedrohlich erscheinen die Objekte. Ein Klosett wie von Dali erdacht, auf hohen Stelzen. In verzinkten Bahnen vor- und zurückfahrende Lokomotiven. Das alles untermalt von einer seltsamen Sprachfetzen-Weltraum-Sound-Montage. Die Szenen wie über den Laufsteg geschickt. Schauspieler in Bettlaken, Schleier und Fräcke gekleidet mit Melonen auf den Köpfen. Man kommt gar nicht umhin, an Hieronymus Bosch zu denken.
Die Stimmen gebärden sich unnahbar bis virtuos. Selten zuvor gehörte Klänge. Deformierte Nachrichtensprecher. Jedes Geschehen ist zugleich auch sein Fragment.
Objekte reden. Klänge schweigen. Sprache wird zerfetzt. Das Unerwartete findet im Raum statt, der längst eine Raumstation ist und abhebt. Der Zuschauer und die Akteure befinden sich außerhalb von Raum und Zeit im Kosmischkulturellen. Wie in früheren, guten Zeiten, meine ich. Das freieste Theater Ungarns, vom Multitalent Perovics aus Szeged in Szene gesetzt. Der Traditionen des osteuropäischen Bildertheaters verpflichtet. Bestandteil werden und am Ende selber Requisite sein. Im Licht, im Klang von Tönen verschwinden! Und nicht vergessen: Erst A. E. Bizottság anhören, den Song Szerelem und dann mit »Szerelem« im Ohr einfach versinken.
Weitere Aufführungen: 30.10., 31.10., 1.11., jeweils 20 Uhr
Theater im Schokohof, Ackerstraße 169/170, Berlin
www.tisch2009.de
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